Gracilis- Lappen
M. Geishauser
Lappenart: | funktionierender Muskel (Amplitude bis 12 cm), muskulokutaner Lappen |
Größe: | Hautinsel bis 6 X 25 cm |
Gefäße: | A. und V. circumflexa femoris medialis |
Motor. Nerv: | R. anterior des N. obturatorius |
Stiellänge: | 5 bis 8 cm, Nerv etwa 6 cm |
Sensibilität: | keine |
Vorteile: | – Muskel technisch einfach zu heben – Zuverlässigkeit – Minimaler Hebedefekt – Kleine funktionierende Muskeleinheiten transplantierbar |
Nachteile: | – Als muskulokutaner Lappen begrenzte Zuverlässigkeit – Geringe Größe |
Geschichte
Zur Behandlung der Fazialisparese wurde der freie mikrovaskuläre Transfer des Musculus gracilis 1976 von Harii, Ohmori und Torii zuerst beschrieben. Damit war der Musculus gracilis der erste mikrochirurgisch frei transplantierte Muskel beim Menschen.
Indikation
Der Musculus gracilis wird einerseits zum reinen funktionierenden Muskeltransfer zur Reanimation des Gesichtes bei Fazialisparese und zum funktionellen Ersatz vor allem an der oberen Extremität verwendet.
Andererseits findet die freie muskulokutane Lappenplastik Anwendung zur Deckung kleinerer Defekte, besonders langer und schmaler Defekte, die kongruent sind mit den Muskelumrissen. Die Zuverlässigkeit ist gut, der Hebedefekt günstig.
Anatomie
Der Musculus gracilis ist ein langer, schlanker Muskel, der am Tuberculum pubicum und an der Symphyse entspringt und mittels des Pes anserinus medial an der Tibia ansetzt. Er verjüngt sich von kranial nach kaudal und bildet die mediale Begrenzung des Oberschenkels.
Der Musculus gracilis wird segmental gefäßversorgt. Im proximalen Bereich liegt aber ein dominanter transversaler Ast aus der Arteria circumflexa femoris medialis vor, der zwischen Musculus adductor longus und Musculus adductor brevis verläuft. Er tritt in den Musculus gracilis im oberen Drittel, etwa 10 cm caudal des Muskelursprungs, von lateral her ein. Mit diesem dominanten Gefäß ist die freie Transplantation des gesamten Musculus gracilis möglich.
Die weiteren segmentalen muskelversorgenden Gefäße sind kleiner und entspringen aus der Arteria femoralis superficialis. Nur gelegentlich ist einer dieser Äste als dominanter Ast ausgeprägt.
Die venöse Drainage erfolgt über Venae comitantes.
Die motorische Innervation des Muskels kommt über den Nervus obturatorius: Der Nervus obturatorius tritt aus dem Foramen obturatorium und teilt sich unter dem Musculus pectineus in einen anterioren und einen posterioren Ast auf.
Der Ramus anterior erreicht den Musculus gracilis, nachdem er auch die Musculi adductor brevis und longus motorisch innerviert hat. Der motorische Nervenast tritt in der Nähe des proximalen dominanten Gefäßstieles in den Muskel ein.
Der sensible Hautnerv am medialen Oberschenkel, der Ramus cutaneus, ist der Endast des Ramus anterior. Er begleitet den motorischen Nerv, zweigt sich aber dort, wo der motorische Nerv in den Muskel eintritt, von diesem ab und läuft entlang des Musculus gracilis weiter nach kaudal. Er kreuzt den Muskel in dessen Mitte und erreicht dann die Haut.
Zur Versorgung der über dem Muskel liegenden Haut laufen vom Muskel ausgehende Perforatoren in der hier lockeren Oberschenkelfaszie.
Planung
Obwohl prinzipiell die muskulofasziokutane Lappenplastik möglich ist, wird diese selten angewandt, da die über den Musculus gracilis proximal liegende Haut nur über eine dünne, lose Faszie mit dem Muskel verbunden ist. Die Hautdurchblutung der Lappenplastik ist deshalb nur eingeschränkt sicher.
Wird der transversale Ast der Arteria circumflexa femoris medialis bis zu seinem Ursprung aus der Arteria profunda femoris präpariert, so läßt sich eine Stiellänge von 7 cm gewinnen bei einem Durchmesser der Arterie von etwa 2 mm.
Hebedefekt
Auch bei einer muskulokutanen Lappenplastik ist der Hebedefekt immer ohne weiteres direkt zu verschließen. Die resultierende Narbe ist kosmetisch unauffällig und leicht zu verdecken.
Operation
Einzeichnen des Lappens
Präoperativ wird der Musculus gracilis angezeichnet, indem eine Linie vom Tuberculum pubicum zur medialen tibialen Kondyle am liegenden Patienten eingezeichnet wird.
Lagerung und Anästhesie
In Intubationsnarkose und Rückenlagerung des Patienten wird der betreffende Oberschenkel leicht abduziert.
Präparation
Über dem proximalen Anteil des Musculus gracilis erfolgt dann eine etwa 10 cm lange Hautinzision.
Bei vorsichtiger subkutaner Präparation wird die Oberschenkelfaszie dargestellt, ohne die Gefäße und Nerven des Musculus gracilis zu kompromittieren.
Zur sicheren Identifizierung wird ebenfalls der Musculus adductor longus dargestellt, mit dem der Musculus gracilis sonst verwechselt werden könnte. Dies ist ein entscheidender und für den mit dieser Lappentechnik weniger Vertrauten einer der schwierigsten Operationsschritte.
Die den Musculus gracilis versorgenden Gefäße und Nerven werden dann leicht aufgefunden. Man präpariert sie in gewünschter Länge nach kranial, bzw. nach lateral.
Der sensible Nervenast kann vom motorischen Nervenast mit Hilfe eines Nervenstimulators unterschieden werden.
Soll der ganze Musculus gracilis transferiert werden, so erfolgt ab dem Gefäßhilus nach distal die stumpfe Präparation des Muskels digital.
Etwa 10 cm über dem Knie wird der Musculus gracilis über eine zweite Inzision dargestellt, stumpf nach distal präpariert und im sehnigen Ansatz durchtrennt.
Den distalen Muskelanteil zieht man nach proximal durch, stellt den Muskelansatz proximal ebenfalls dar, löst ihn ab und durchtrennt den Gefäßstiel.
Wird ein funktionierender Gracilismuskeltransfer gewünscht, so besteht die Möglichkeit, den motorischen Nerv zu faszikulieren und entlang der Faszikel den Muskel darzustellen, um nur einen Teil des Muskels zu transferieren. Dies findet vor allem zur Übertragung in den Gesichtsbereich Anwendung.
Soll eine muskulokutane Lappenplastik erfolgen, so wird die kleine Hautspindel über dem proximalen Drittel des Muskels zentriert. Das proximale, 8 bis 12 cm unterhalb des Tuberculum pubicum in den Musculus gracilis eintretende Gefäßbündel gibt sowohl septokutane als auch muskulokutane Äste ab. Diese verlaufen in transversaler Richtung nach vorne bis über die Mmi. adductor longus und sartorius, nach hinten mindestens 5 cm dorsal der posterioren Graciliskante. Die Hautinsel sollte deswegen bevorzugt in transversaler Richtung gelegt werden. Beim longitudinalen Lappendesign ist die Hautinsel weniger sicher.
Sofort nach Präparation des Hautlappens ist die sorgfältige Sicherung des Hautlappens auf dem Muskel mit Einzelnähten erforderlich, um die zarte Faszie vor Scherkräften zu schützen.
Literatur
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